Anmerkungen zu Willy Buschaks Fimmen-Biographie (Reiner Tosstorff, 2019)

Willy Buschak, Edo Fimmen. Der schöne Traum von Europa und die Globalisierung. Eine Biographie. Mit einem Vorwort von Peter Friedemann, Essen 2002, 333 S.

Edo Fimmen war der bedeutendste internationale Gewerkschaftsführer der Zwischenkriegszeit. Denn er verband vergleichsweise erfolgreich das „Alltagsgeschäft“, den Aufbau der Organisation in Verbindung mit der Verbesserung der Lage der von ihr Organisierten, mit strategischer Weitsicht und der Fähigkeit zu politischen Initiativen, die scheinbar weit über gewerkschaftliche Aufgaben hinausgingen. Eine geschlossene Lebensdarstellung war schon längst überfällig, insbesondere da in der letzten Zeit einzelne Facetten seines Lebens schon ausführlich dargestellt wurden.[1]

Edo Fimmen wurde 1881 in der Nähe von Amsterdam in der Familie eines kaufmännischen Angestellten geboren. Auch er absolvierte eine entsprechende Ausbildung und begann um die Jahrhundertwende mit seiner beruflichen Laufbahn in einer internationalen Ölfirma. Zur gleichen Zeit führte ihn seine religiöse Erziehung in die Heilsarmee. Das dadurch beförderte Interesse an der ‚sozialen Frage’ brachte ihn in Kontakt zu religiösen Anarchisten und darüber zur organisierten (sozialdemokratischen) Arbeiterbewegung. Im Jahre 1905 war er Mitbegründer der niederländischen Angestelltengewerkschaft und wurde zwei Jahre später deren hauptamtlicher Sekretär. Im Jahre 1910 entstand auch ein internationales Angestelltensekretariat, das er ebenfalls übernahm.

Doch bevor er aus der noch jungen Angestelltenbewegung einen wichtigen Zweig der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung machen konnte, brach der Erste Weltkrieg aus und rückte ihn unerwartet in das Zentrum des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), des Dachverbandes der nationalen Gewerkschaftszentralen. Er half bei der internationalen Koordination mit, die die neutralen Niederländer für die nach Kriegsgegnern gespaltene internationale Gewerkschaftsbewegung ausübten. Beim Wiedergründungskongress des IGB im Juli 1919 wurde er dann zu einem der beiden Sekretäre gewählt. Er nahm die Wahl an, zunächst vor allem „aus Pflichtbewusstsein“. Diese Aufgabe wurde ihm aber sofort zum Lebensinhalt, zusammen mit der zur gleichen Zeit übernommenen, zunächst ehrenamtlichen Sekretärsfunktion bei der Wiederbelebung der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF), des wichtigsten Internationalen Berufssekretariats (IBS).

Fimmen prägte zunächst die politische Ausrichtung des IGB. Dass sich die Gewerkschaften auf ökonomische Tagesaufgaben zu beschränken hatten, wie es so vehement von den deutschen Gewerkschaften vor 1914 verfochten worden war, war nicht nur für ihn jetzt unhaltbar geworden. Er gab den Anstoß zu einer Reihe von Kampagnen, die aus dem IGB den „Generalstab“ der europäischen Gewerkschaftsbewegung machen sollten. Die Nachkriegsgesellschaft sollte nach ihren Vorstellungen gestaltet werden. Der Kampf gegen den Krieg war dabei die zentrale Aufgabe. Auf Fimmens Initiative kam im Dezember 1922 der internationale Anti-Kriegskongress von Den Haag zustande, auf dem sich die internationale Gewerkschaftsbewegung auf die Organisierung eines Generalstreiks im Kriegsfall verpflichtete.

Doch diese Jahre waren auch die Zeit der politischen Spaltung der internationalen Arbeiterbewegung, wie sie sich aus dem Verhalten bei Kriegsausbruch und aus der bolschewistischen Revolution ergab und in der Gründung der Kommunistischen Internationale gipfelte. Sie fand ihr gewerkschaftliches Echo 1920/21 in der Bildung der Roten Gewerkschaftsinternationale (RGI). Fimmen erklärte zwar von Anfang an seine Bereitschaft, mit den russischen Gewerkschaften zu reden – was viele nicht ernst nehmen wollten -, trat aber ganz entschieden gegen die RGI auf. Ihre Existenz könne nur die Spaltung befördern. Er war es vor allem, der 1921/22 als Wortführer des IGB auf zahlreichen nationalen Gewerkschaftskongressen gegen den Anschluss an ‚Moskau’ auftrat.[2]

Die große Wende kam Anfang 1923 mit dem Ausbruch der Ruhr-Krise. Die Organisationen des IGB konnten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Vom Generalstreik war keine Spur zu finden. Fimmen äußerte heftige Kritik an diesem Versagen, woraufhin ihm ebenso hart geantwortet wurde. Zudem begann er nun, unter seinem „zweiten Hut“ als ITF-Führer, einen Dialog mit den russischen Gewerkschaften (die inzwischen die RGI-Frage in den Hintergrund gerückt hatten). Er wurde regelrecht aus seiner Stelle beim IGB gemobbt, verblieb aber als nun hauptamtlicher ITF-Sekretär. Als solcher konnte er aber auch wieder auf den IGB zurückwirken.

Es gelang ihm, dieses schon stärkste Internationale Berufssekretariat weiter auszubauen – zu einem internationalen Akteur, während die meisten IBS noch weiterhin hauptsächlich als Auskunftsstellen für die nationalen Mitgliedsorganisationen wirkten. Besonderen Wert legte er darauf, das Wort „international“ nicht nur als schmückendes Adjektiv zu sehen. Er unternahm verschiedene Initiativen in Richtung auf das, was man heute „Dritte Welt“ nennt und zu seiner Zeit noch überwiegend in kolonialer Abhängigkeit von den europäischen Metropolen stand. Mit seinen antikolonialen Aktivitäten stach er aus dem Kreis der europäischen Gewerkschaftsführer hervor.

Er unternahm auch als einziger einen umfangreichen Versuch, die sich herausbildende „Internationalisierung des Kapitals“, das Entstehen multinationaler Firmen, in einem 1924 zuerst veröffentlichten Buch theoretisch zu analysieren.[3] Daraus leitete er nicht nur Zielstellungen für die internationale Gewerkschaftsbewegung ab. Er forderte eine immer wieder diskutierte, aber niemals realisierte Umstrukturierung: Ihre zwei Säulen – die horizontale Vereinigung der nationalen Gewerkschaftsbünde im IGB (heute: IBFG / Internationaler Bund freier Gewerkschaften) und die vertikale in Gestalt der Internationalen Berufssekretariats (heute Globale Gewerkschaftsföderationen) – sollten umstrukturiert werden. Der IGB sollte nicht länger Ausdruck der nationalen Beschränkungen der Mitgliedszentralen sein, deren Summe ja nicht automatisch Internationalität gewönne, sondern auf den IBS als den Vertretern der länderübergreifenden Interessen der verschiedenen Arbeitergruppen beruhen. Dieser Vorschlag ließ sich nie verwirklichen. Statt dessen durchziehen die Entwicklung der internationalen Gewerkschaftsbewegung bis heute immer wieder aufbrechende Konflikte zwischen diesen beiden internationalen Gewerkschaftsstrukturen.

Nach 1924 setzte er allerdings auch seine Bemühungen um die internationale Gewerkschaftseinheit mit den Russen fort (vor allem durch das sogenannte Anglo-Russische Komitee). Dies rief zahlreiche Kritiker auf den Plan, doch war er angesichts seiner erfolgreichen Organisationsarbeit fast unangreifbar, musste aber auch immer wieder in der ITF Konzessionen machen. Doch die „internationale Einheit“ scheiterte – an politischen Rückschlägen im Westen (vor allem an der Niederlage im britischen Generalstreik von 1926), nicht zuletzt aber an der Stalinschen Wende ab 1928/29. Diese setzte nicht nur unter dem Zeichen des Kampfes gegen den „Sozialfaschismus“ die Gewerkschaftsspaltung international auf die Tagesordnung. Auch angesichts der inneren Entwicklung der UdSSR 1929 markierte Fimmen eine klare Distanz.[4]

Mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise wurde ihm aber auch schneller und nachdrücklicher als den meisten anderen Gewerkschaftsführern klar, welche neue Bedrohung der deutsche Faschismus darstellte. Auf seine Initiative hin bemühte sich die ITF, sowohl die deutschen Gewerkschaften wie den IGB zu mobilisieren – bekanntlich ohne Erfolg. Auf jeden Fall war es ihm zu verdanken, dass die ITF vom ersten Augenblick an zu einem wichtigen Rückhalt des Arbeiterwiderstandes wurde. Zahllose aus den deutschen Transportarbeitergewerkschaften hervorgegangene Netzwerke hätten ohne die tatkräftige Hilfe aus Amsterdam nicht so wirken können. Ähnlich setzte er ab 1936 die ITF zur Unterstützung der spanischen Republik ein.

Dabei wurde seine politische Skepsis über die großen Arbeiterparteien immer größer. Im Jahre 1932 war er an einer Linksabspaltung von der niederländischen Sozialdemokratie beteiligt. Eng kooperierte er nach 1933 mit deutschen linkssozialistischen Gruppen. Die Gewerkschaften wurden ihm nun das eigentliche Instrument zur „Befreiung der Arbeiterklasse“.

Doch er erlitt nicht nur die Enttäuschungen über die politische Entwicklung, die immer unaufhaltsamer auf den Weltkrieg zulief. Sein jahrelanger, keine Rücksicht auf sich nehmender Lebensstil des völligen Einsatzes für die Organisation machte sich Ende 1938 in einem gesundheitlichen Zusammenbruch bemerkbar. Seine sehr realistische Einschätzung über das Bevorstehende verband sich mit einer Art Schuldbewusstsein, nicht alles Nötige getan zu haben, um die Katastrophe aufzuhalten. Während er nach einer nur halben Rekonvaleszenz das Überleben der ITF durch die Vorbereitung auf die Illegalität und das Verlegen ihres Sitzes nach Großbritannien sicherte, machte er eine Hinwendung zur Religiosität während seiner Jugend durch. Schon in Großbritannien musste er aufgrund seiner Gesundheit faktisch der Führung der ITF entsagen, um dann, ab Herbst 1941 in Mexiko, doch noch zu hoffen, ohne Arbeitsbelastung und in einem wärmeren Klima die Gesundheit halbwegs wiederherstellen zu können. Vergeblich, am 14. 12. 1942 starb er dort.

Willy Buschak hat dieses hier zusammengefasste Leben eindrücklich geschildert. Seine Biographie setzt zwar mit einem kurzen Überblick über seine Jahre bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs ein. Er verzichtet dann aber auf die sklavische Befolgung der Chronologie, sondern entfaltet Fimmens Lebensbeschreibung entlang inhaltlich bestimmter Kapitel. Ganz grob nach der zeitlichen Abfolge geordnet folgen sie den jeweiligen Schwerpunkten in seinen Aktivitäten. Das kann zwar zu gelegentlichen Zeitsprüngen führen, wenn Buschak einen bestimmten Entwicklungsfaden bis zum Ende verfolgt oder die Vorgeschichte aufdröselt, macht aber Fimmens politische und intellektuelle Entwicklung vor dem Hintergrund seiner intensiven Aktivitäten noch prägnanter. Zwei ‚übergreifende Thematiken’ sind allerdings als Schlusskapitel gesondert behandelt: Zum einen beschreibt er Fimmen als Reisenden. Dabei stehen nicht die politischen Absichten im Vordergrund, die mit ihnen normalerweise verbunden waren und die in den entsprechenden vorausgehenden Abschnitten dargestellt sind, sondern es geht um die Wahrnehmung dieser Länder. Auch wenn das etwa in der ausführlich geschilderten Russland-Reise von 1924 kaum von der Politik zu trennen war, wie Buschak auch anhand der überlieferten Materialien zu dieser seinerzeit umstrittensten Reise Fimmens ausführlich darstellt. Denn er bezog dafür scharfe Kritik von der europäischen Sozialdemokratie.

Zum anderen geht es um das „Familienleben“ mit seinen beiden aufeinanderfolgenden Lebenspartnerinnen, mit denen er jeweils zwei Kinder hatte. Die Zeit mit seiner Frau Nellie – die Heirat erfolgte 1905 – war noch überwiegend von seinem Aufstieg in eine gewerkschaftliche Führungsposition, damit auch überwiegend von großen materiellen Sorgen, bestimmt und war zudem von psychischen Krisen seiner Partnerin überschattet. Fimmen, der Ende 1922 das gemeinsame Haus verließ und praktischerweise gleich ein paar Stockwerke über dem ITF-Büro einzog, versäumte aber auch später, selbst nach 1939, nicht, sich um ihr materielles Wohl und das der gemeinsamen Kinder zu kümmern. Es waren wohl die neuen Anforderungen aus dem Leben als internationaler Gewerkschaftsführer, die letztlich diese Beziehung beendeten. Seine neue Lebenspartnerin aus Deutschland kam damit als politische Aktivistin sicherlich besser zurecht. Er hatte sie noch als Sozialdemokratin kennen gelernt, sie war aber beim Beginn ihrer Beziehung schon Kommunistin und sollte dann sogar für einige Jahre in Moskau arbeiten, von wo sie aber schon etwa 1925 wieder nach Deutschland zurückkehrte (um dann in linksoppositionellen Kreisen aktiv zu sein). So bestand diese Beziehung eigentlich nur in Begegnungen bei Fimmens häufigen Auslandsreisen. Da der Beginn dieser Beziehung mit Fimmens ‚Linkswende’ parallel lief, rankten sich schnell auch gehässige Gerüchte innerhalb der ITF darum, gegen die er sich sehr heftig zur Wehr setzte.[5]

Buschak verzichtet aber wohltuenderweise auf jegliche Spekulation, was bei solchen Dingen vermeintlich leicht auf der Hand liegt, eventuell auch noch gepaart mit psychoanalytischen Versuchen. Er lässt die von ihm vor allem aus einer Reihe von Andeutungen gegenüber Dritten zusammengetragenen Fakten sprechen, die er hat, da der Briefwechsel vor allem mit seiner zweiten Partnerin weitgehend verloren ist.

Trotz der knappen Ausführungen rundet sich dadurch das Bild von Fimmen als eines Menschen ab, der wenig private Interessen außerhalb seiner gewerkschaftlich-politischen Aktivitäten verfolgte, ja ganz darin aufging, sich dabei buchstäblich aufrieb, etwa durch sein ständiges Reisen[6]. Dabei verstand er es sehr gut, auf Mitmenschen zuzugehen. Ebenso begegnete er seiner Umwelt mit einer breiten intellektuellen Neugier. Zahlreiche kunsthandwerkliche Dinge, die er von seinen Reisen mitbrachte, zeigen, dass er nicht nur Sitzungstermine wahrnahm. Buschak jedenfalls gelingt es, durch eine Reihe von Äußerungen seiner Zeitgenossen und Freunde ein ziemlich lebendiges Bild von ihm zu zeichnen. Doch idealisiert er ihn keineswegs, etwa aus Rücksicht auf seine vielfachen fortschrittlichen Aktivitäten: „Bei aller Modernität in Fimmens Denken soll nicht verschwiegen werden, dass Fimmens Politikstil, der Stil des Patrons, des autokratischen Gewerkschaftsfürsten, der alles am liebsten selbst entscheidet und gar nichts delegiert, der sich völlig in der Bewegung aufreibt, heute eher abschreckend wirkt.“ (S. 304)

Willy Buschak begegnete die Person Fimmen zuerst bei einigen Arbeiten, die er z. T. noch als hauptberuflicher Historiker unternommen hatte.[7] An die Verwirklichung einer Biographie, zu der ihn auch schon Susanne Miller angeregt hatte, ging er jedoch erst als Sekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Ausdrücklich auch, weil er in bestimmten Richtlinien der Europäischen Union, z. B. zur Einrichtung von Eurobetriebsräten, eine Art Verwirklichung von Fimmens Forderung nach grenzüberschreitender Gewerkschaftssolidarität sah. Ob Fimmen allerdings in der EU die ihm vorschwebende Internationalität realisiert gesehen hätte – schließlich misstraute er dem europäischen Kapital grundsätzlich, somit konnte für ihn Europa nur sozialistisch sein -, mag dahingestellt bleiben. Wie dem auch sei, so entstand jedenfalls diese Biographie Fimmens unter den zeitlichen Beschränkungen, die dem Autor seine gewerkschaftlichen Aufgaben auferlegten.

Sie konnte somit nicht „die“ große wissenschaftliche Biographie sein, die man sich eigentlich wünschte. Neben einigen kleineren Archivbeständen schöpfte er im wesentlichen aus dem ITF-Archiv, das sich zum größten Teil in der Universität Warwick, zu einem kleineren in der Friedrich-Ebert-Stiftung befindet. Auch da Fimmen das Persönliche kaum vom Beruflichen trennte, ist das natürlich unbezweifelbar die wesentliche Quelle. Doch zahlreiche Aspekte von Fimmens Wirken haben ihren archivalischen Niederschlag woanders gefunden. Z. B. konnte Buschak – zum gesamten Komplex von Fimmens Kontakten mit den Kommunisten – nicht die umfangreichen Bestände in Moskau durchsehen[8].

Obwohl ein nicht unwesentlicher Bestandteil von Fimmens Aktivitäten als ITF-Führer in der Beziehung zur Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) lag – auch wenn er selbst eine sehr realistische Einschätzung ihrer Wirksamkeit hatte, mit der er auch keineswegs hinter dem Berg hielt -, vermisst man hierzu leider Nachforschungen in deren Archiv. Die IAO befasste sich von Anfang an intensiv mit Regelungen zur Transportindustrie und vor allem zur Schiffahrt und unterhielt deswegen eine umfangreiche Korrespondenz mit Fimmen und anderen ITF-Führern. Zudem ging der erste IAO-Direktor Albert Thomas nicht nur den eigentlichen „Fachfragen“ nach, sondern verfolgte ganz intensiv die Vorgänge in der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Als jemand, der aus dem entschieden reformistischen Flügel der französischen Sozialdemokratie kam, bemühte er sich dabei in vertraulicher Korrespondenz mit den Fimmen-Gegnern im IGB auch ganz unverfroren darum, diesen den Rücken gegen ihren Widerpart zu stärken.

Bei den von Buschak aufgezählten Mitarbeitern Fimmens in der ITF wird der Deutsche Eduard Weckerle nur ganz kurz als zeitweiliger Dokumentar gestreift. Doch scheint sein Einfluss größer gewesen zu sein. In der bereits erwähnten Rede Fimmens auf dem ITF-Generalrat vom Juni 1923[9] wurde er als einer der „Inspiratoren“ für seine Wende von Anfang 1923 aufgeführt. Weckerle, aus der USPD kommend und später in der SAP aktiv, wo er u. a. Mitverfasser des „Roten Gewerkschaftsbuchs“ war, deutete dann im September 1927 – auf dem Höhepunkt der ITF-internen Auseinandersetzungen um Fimmens angeblichen Pro-Kommunismus – in einem Privatbrief an, dass er sich mit Fimmen über dessen politischen Kurs grundsätzlich zerstritten habe. Die Formulierungen lassen erkennen, dass er zeitweilig nicht unwichtig für Fimmen gewesen war.[19]

Buschak hat ganz zu Recht Fimmens internationales Wirken in den Vordergrund gestellt. Dennoch wäre eine wirklich umfassende Biographie sicher nicht möglich, wenn sie nicht auch intensiver auf seine Einbindung in die niederländische Arbeiterbewegung und deren ‚Milieus’ einginge. Denn auch nachdem er 1919 seine internationalen Führungsfunktionen übernommen hatte, kappte er diese Verbindungen nicht. Zwar scheint dies auch immer wieder bei Buschak durch. Doch wäre es sicher noch eine lohnende Aufgabe, dem genauer nachzugehen.[11]

Was man zudem vermisst, ist eine genaue Verortung Fimmens im damaligen gewerkschaftlichen Spektrum. Er war, bei aller Bedeutung, die er der gewerkschaftlichen Organisation beimaß, sicherlich kein Syndikalist. Die von dieser Richtung propagierte „antibürokratische“ Stoßrichtung ging ihm gänzlich ab, so sehr er sich auch immer wieder über bürokratische Vorgehensweisen und Illusionen in eine nicht aufhaltbare kapitalistische Aufwärtsentwicklung erregte. Sein politisches Bezugsfeld war das der hauptamtlichen Gewerkschaftsführer des IGB, der IBS, der Mitgliedsverbände der ITF, auch wenn er dabei immer wieder den Kontakt zur gewerkschaftlichen Basis suchte. In den Gewerkschaftsführungen war er aber auf jeden Fall der maßgebliche Repräsentant des linken Flügels. Diesen Flügel zwischen den Kommunisten und den sozialdemokratisch-reformistischen Kräften charakterisierte die ausdrückliche Ablehnung des Nationalismus und ihr Antimilitarismus. Zugleich wirkten seine Vertreter entschieden am Aufbau einer starken, international ausgerichteten und möglichst auf dem Industrieprinzip aufbauenden Gewerkschaftsorganisation. Mit all dem haben sie sich letztlich als die „Moderneren“ gegenüber vielen ihrer Kollegen in den Gewerkschaftsführungen erwiesen. In der Ausrichtung auf Kampagnen sahen sie die Achse der Gewerkschaftsarbeit. Gewerkschaftliches Handeln von staatlichen Schlichtungsmechanismen, selbst wenn sozialdemokratische Mehrheiten vordergründig einen sicheren Bündnispartner zu garantieren schienen, oder von den Ergebnisse der IAO abhängig zu machen, lag ihnen fern. Zudem bestand für sie der „Sinn“ der gewerkschaftliche Tagesarbeit in ihrer Einordnung in eine langfristige sozialistische Perspektive. So mussten sie sich immer wieder vorwerfen lassen, sie wollten der Gewerkschaftsarbeit eine andere, politische Ausrichtung geben. Dabei gerieten sie andererseits aber auch immer wieder in Konflikt mit den Kommunisten, weil sie in der Einheit der Gewerkschaftsorganisation die Grundlage ihrer Tätigkeiten sahen und dabei oft genug mit neuen „Generallinien“ konfrontiert wurden. Allerdings, immer wenn die Kommunisten eine einheitsfrontorientierte Gewerkschaftsarbeit verfolgten, erweiterte sich auch ihr Spielraum und entsprechende Initiativen wurden möglich. Neben Fimmen gehörten dazu z. B. der Sekretär der Lebensmittelarbeiter-Internationale, Jean Schifferstein, oder eine Reihe von Führern des britischen TUC, die die Initiatoren des Anglo-Russischen Gewerkschaftskomitees im Jahre 1925 waren; in Deutschland standen dafür zahlreiche ex-USPD-Gewerkschaftsführer, allen voran der Metallarbeiterführer Robert Dißmann, der auch im Internationalen Metallarbeiterbund eine wichtige Rolle spielte und mit Fimmen in engem Kontakt stand.[12] Diese internationalen ‚Netzwerke’ sind hier leider nur wenig beleuchtet, allerdings auch nur schwer zu rekonstruieren, da sie, von gelegentlichen gemeinsamen Auftritten auf internationalen Gewerkschaftskonferenzen abgesehen, wesentlich einen informellen Charakter hatten und entsprechend geringen Niederschlag in den sowieso nur ziemlich prekär überlieferten Gewerkschaftsarchiven fanden.

Leider findet sich auch eine Reihe kleinerer Fehler in diesem Band. Fimmen nahm etwa bereits vor dem Weltkrieg, im Jahre 1913, als Sekretär der Angestellten-Internationale an einer Konferenz des IGB teil (S. 26). Der bolschewistische Gewerkschaftsführer Schljapnikow hielt sich nicht im Frühjahr 1919, sondern genau ein Jahr später in Westeuropa auf (S. 96). (1919 sollte Rjazanow eine Delegation zur Wiedergründung des IGB leiten, die aber aufgrund der Kriegssituation nicht reisen konnte, was ansonsten möglicherweise zu einem ganz anderen Verhältnis auf der internationalen Gewerkschaftsebene geführt hätte.) Schljapnikov sollte nicht nur – als Vorsitzender der Metallarbeitergewerkschaft – den Kontakt zu den entsprechenden Verbänden in Westeuropa herstellen, sondern war nicht zuletzt zum ITF-Kongress in Oslo im März 1920 delegiert worden. Für diesen traf er aber zu spät ein, so dass, anstelle der Herstellung eines direkten Kontakts, nicht mehr als das auch bei Buschak erwähnte Begrüßungstelegramm aus Moskau verlesen werden konnte. Fimmen traf allerdings bereits Ende 1920 mit dem Vorsitzenden der russischen Chemiearbeiter zusammen, der in Amsterdam das entsprechende Internationale Berufssekretariat aufgesucht hatte. Jedoch gehörte dieser nicht zur bolschewistischen Führungsgruppe wie Schljapnikow, und so blieb dieser Kontakt folgenlos. Nicht zuletzt kam es auch bald darauf zur Gründung der RGI.

Solche und einige kleine Flüchtigkeits- oder Druckfehler (so spricht er für 1926 von der IG Metall oder der englische Generalstreik findet in einer Überschrift 1925 statt) ändern aber keineswegs etwas am Gesamtcharakter des Werks, an den zentralen Aussagen, an der Charakterisierung von Fimmen und an der lebendigen Darstellung seiner Person. Das wichtige an dieser Biographie ist auch nicht ein fehlender „umfassender Anspruch“, den Buschak unter seinen Bedingungen nicht einlösen konnte – eine solche Biographie kommt vielleicht auch nie zustande -, sondern die Herausarbeitung der wesentlichen Aktivitäten eines zentralen Gewerkschaftsführers unter dem Zeichen des Internationalismus. Genau dieses internationale Wirken in einem kapitalismuskritischen Sinne macht auch aus, wofür er heute noch eine Bedeutung hat – wie auch Peter Friedemann im Vorwort unterstreicht. Und hierzu hat ihn Buschak in den wesentlichen Zügen porträtiert. Gerade angesichts dieser internationalen Bedeutung wäre es zu wünschen, dass diese Arbeit, vielleicht ergänzt um neues Material, das der Autor, wie man hört, in der Zwischenzeit gefunden hat, bald wenigstens in Englische übersetzt wird, um den breiten Leserkreis zu finden, der für dieses Thema anzusprechen ist.

 


[1] So in dem von Bob Rainalda herausgegebenen Sammelband, The International Transportworkers Federation 1914 – 1945. The Edo Fimmen Years, Amsterdam 1997, darin auch eine biographische Skizze Fimmens von Sigrid Koch-Baumgarten (die inzwischen auch auf deutsch in der IWK, Nr. 1, 2000, vorliegt). Von ihr stammt auch eine Darstellung der ITF, die zwar schwerpunktmäßig deren Entwicklung nach 1945 behandelt, aber auch die „Ära Fimmen“ nicht unberücksichtigt lässt (Gewerkschaftsinternationalismus und die Herausforderung der Globalisierung. Das Beispiel der Internationalen Transportarbeiterföderation [ITF], Frankfurt 1999). Schließlich sei noch auf die kurz vor Buschaks Arbeit erschienene Darstellung von Dieter Nelles (Widerstand und internationale Solidarität. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation [ITF] im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Essen 2001) verwiesen, in der natürlich Fimmen eine zentrale Rolle einnimmt.

[2] Dies schloss auch die Hinnahme von Spaltungen ein. Siehe seinen Brief an den französischen Gewerkschaftsführer Jouhaux, in dem er diesen im Sommer 1921 zur Trennung von der revolutionären Strömung ermunterte, abgedruckt in: Bernard Georges – Denise Tintant, Léon Jouhaux. Cinquante ans de Syndicalisme, Bd. 1, Des origines à 1921, Paris 1962,  S. 524 – 526.

[3] Dt. Edo Fimmen, Vereinigte Staaten Europas oder Europa AG. Ein internationaler Ausblick, Jena 1924. Der englische Text findet sich im Internet: http://www.global-labour.org/edo_fimmen_internationalist_pioneer.htm

[4] Zur Ausweisung Trotzkis aus der UdSSR schrieb er Anfang März 1929: „We are not taking sides in this conflict […]. But we affirm that the exile of Trotsky from the Soviet Union brings to a definite end an era that gave a homeland to any human being who was crushed and exploited by capitalism […].“ Zit. bei J. W. Stutje, „The Soviet Union As Seen By the Dutch Labor Movement, 1917 – 1935. A Global Impression”, in: L’URSS il mito le masse, Mailand 1991, S. 282 – 303, hier S. 300.

[5] So auf einer Sitzung des Generalrats der ITF im Juni 1923, einen Monat nach einer gemeinsamen Konferenz mit der russischen Transportarbeitergewerkschaft in Berlin. Nun wurden von den Gegnern jeglicher Kontakte mit den Russen verschiedene Erklärungen (d. h. Personen) gesucht, die ihn dazu „inspiriert“ haben könnten. (Die Mitschrift seiner Rede befindet sich nicht im ITF-Archiv, sondern im Archiv der Roten Gewerkschaftsinternationale in Moskau [534/5/178/57-73]. Er hatte sie offensichtlich weitergegeben, um seine Haltung in Moskau deutlich zu machen.)

[6] Die Hälfte seiner Arbeitszeit, wenn nicht mehr, verbrachte er hierbei. So Buschak, S. 284

[7] Z. B. Fimmen Aktivitäten zuerst auf dem linken Flügel der niederländischen Sozialdemokratie und dann bei der Linksabspaltung 1932 in seinem Buch: Das Londoner Büro, Europäische Linkssozialisten in der Zwischenkriegszeit, Amsterdam 1985. Die Unterstützung Fimmens und der ITF für den Widerstand in Deutschland nimmt einen zentralen Platz in „Arbeit im kleinsten Zirkel“. Gewerkschaften im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Hamburg 1993, ein. Darauf beruhen auch im wesentlichen die entsprechenden Abschnitte in der Fimmen-Biographie, da die Arbeit von Nelles dafür zu spät erschien.

[8] Informationen dazu aus dem Archiv der Roten Gewerkschafts-Internationale finden sich in meiner demnächst erscheinenden Geschichte dieser Organisation; Hinweise zu Kontakten mit der Komintern sowie der niederländischen KP bei Gerrit Voerman, De meridiaan van Moskou : de CPN en de Communistische Internationale, 1919 – 1930, Amsterdam 2001. Wie tief z. B. manche Kontakte gingen, zeigt der Brief, den Fimmen an den Komintern-Vorsitzenden Sinowjew Mitte Oktober 1923 – im Rahmen der kommunistischen Aufstandsvorbereitungen in Deutschland – schrieb, wo er dringend davon abriet und ein den Moskauer Erwartungen konträres Bild vom Kräfteverhältnis zeichnete. Auch dieser Brief befindet sich nicht im ITF-Archiv und wurde erst nach Öffnung der Moskauer Archive von dem russischen Historiker Babičenko publiziert („Krasnaja Armija pridet v Germaniju s zaposdaniem“, in: Istočnik, Nr. 2, 1995, S. 26 – 32).

[9] Siehe Fußnote 6.

[10] Dieser Brief an seinen Schwiegervater Adolf Geck befindet sich in dessen Nachlass im Generallandesarchiv Karlsruhe. Bei Hans-Holger Paul (Hg.), Inventar zu den Nachlässen der deutschen Arbeiterbewegung, München 1993, S. 683, wird Weckerle als zeitweiliger Sekretär Fimmens bezeichnet.

[11] Dies lassen jedenfalls entsprechende Hinweise in der schon erwähnten Studie von  Voerman über die KPN oder in der Darstellung des niederländischen Linkssozialismus von Menno Eekman und Herman Pieterson, Linkssocialisme tussen de wereldoorlogen. Twee studies, Amsterdam 1987, erkennen. Doch von viel zentraler Bedeutung wären natürlich Forschungen zur niederländischen Sozialdemokratie.

[12] Zu diesem siehe Reiner Tosstorff, „Ein zu Unrecht fast vergessener Gewerkschaftsführer. Robert Dißmann (8.8.1878-30.10.1926)“, in: Sozialismus, Nr. 11, 2003, S. 49 – 52. Vgl. auch den Abschnitt „The Non-Communist Radical Faction“ in Gerard Braunthal, Socialist Labor and Politics in Weimar Germany. The General Federation of German Trade Unions, Hamden 1978, S. 104 – 106; Detlev Brunner, Bürokratie und Politik des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes 1918/19 bis 1933, Köln 1992, S. 247f.

Dißmann war der Organisator der Vortragsreise Fimmens in Deutschland im Februar 1923, auf der er seine scharfe Kritik an der Passivität der internationalen Gewerkschaftsbewegung angesichts der Ruhr-Besetzung öffentlich machte (die ihn dann wenige Zeit später zu den ersten Kontakten mit ‚Moskau’ führte).