Zur Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaften (Werner Thönnessen, 1965)

Gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit in der pluralistischen Gesellschaft
Jeder Verband in der Bundesrepublik, der etwas auf sich hält und es sich materiell leisten kann, besitzt heute ein Pressereferat und gibt einen Pressedienst heraus, versendet ihn an Redaktionen von Presse, Funk und Fernsehen, an befreundete Politiker, an die eigenen Mitglieder und an andere Verbände. Das gleiche tun Regierungen, Kirchen und andere Institutionen.

Mit den Strömen solcher Interessenteninformationen versucht man einerseits, die eigenen Mitglieder zu unterrichten und auf bestimmte übereinstimmende Denk-, Verhaltens- und Handlungsweisen auszurichten. Andererseits versucht man damit, die eigenen Interessen an die politisch entscheidenden Instanzen heranzubringen und deren Entscheidungenzugunsten dieser Interessen mit zu beeinflussen.

Und drittens will man die Information bei den Organen der öffentlichen Meinung unterbringen, dadurch den eigenen Verband in das Konzert der öffentlichen Meinung einschalten und ein möglichst großes Publikum mit dessen Wünschen und Vorstellungen vertraut machen und dafür einnehmen.

Dies sind die drei Seiten der Öffentlichkeitsarbeit aller großen Organisationen in unserer sogenannten pluralistischen Gesellschaft.

Aber natürlich hängt der Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit einer Organisation nicht nur davon ab, mit welchem Geschick und Aufwand sie ihre Interessen vertritt. Im Strom der Interessenteninformationen haben die einzelnen Mitteilungen höchst ungleiche Chancen, ihre Adressaten zu erreichen.

Die Regierungsparteien beanspruchen und erhalten von vornherein größere Aufmerksamkeit als die Opposition, die großen Parteien mehr als die kleinen, die Metallindustriellen mehr als die Textilunternehmer usw. Die Ungleichheit gründet sich also zunächst auf die unterschiedliche funktionelle Bedeutung des Nachrichtengebers, sodann auch auf die unterschiedliche Bedeutung der Mitteilungen für die Öffentlichkeit.

Schließlich hängt die Durchschlagskraft einer Mitteilung auch davon ab, welche anderen Nachrichten gleichzeitig mit ihr um die Aufmerksamkeit des Publikums bzw. der Träger der öffentlichen Meinung konkurrieren. Für die Durchschlagskraft einer Nachricht ist im Strom konkurrierender Mitteilungen also eine Anzahl von Faktoren verantwortlich, die sich der Kontrolle des Nachrichtengebers weitgehend entziehen.

Bei der Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaften im besonderen spielt die Tatsache eine Rolle, daß sie zu den wichtigsten Werten und Einrichtungen unserer Gesellschaft in einem mehr oder minder kritischen Verhältnis stehen. Sie stellen Forderungen an die Regierung und den Gesetzgeber, an die politischen Parteien und vor allen Dingen natürlich an die Unternehmer, ja sogar an ihre eigenen Mitglieder.

Es ist ihre Aufgabe, die herrschende Ordnung von Besitz und-Macht ständig in Frage zu stellen, Unruhe und Unzufriedenheit zu erwecken oder zu kanalisieren, die oft untergründigen sozialen Konflikte zu artikulieren und auszutragen.

Einstellung der Presse zu den Gewerkschaften
Über die Art und Weise, wie dieser Charakter der Gewerkschaften die Berichterstattung über gewerkschaftliche Ereignisse beeinflußt, liegen zwei Untersuchungen vor.

Sie stimmen einerseits hinsichtlich der Durchschlagskraft gewerkschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit und andererseits in bezug auf die Bereitschaft der Organe der öffentlichen Meinung zu sachgemäßer Berichterstattung über Gewerkschaften sehr skeptisch. Fritz Vilmar kommt in seinem Beitrag in den Gewerkschaftlichen Monatsheften (Nr. 9/1961) zu Ergebnissen, die zwar nur aus Zeitungsartikeln über den 6. Gewerkschaftstag der IG Metall in Berlin im Oktober 1960 gewonnen wurden. Bei aller Berücksichtigung der Sonderstellung der IG Metall in der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung kann man aber annehmen, daß die anderen Gewerkschaften eine nur in Nuancen verschiedene Beurteilung erfahren.

Sein Ergebnis hat Vilmar folgendermaßen zusammengefaßt:

„Es liegt ein bestimmter, ziemlich begrenzter Bestand vorgefaßter Meinungen über die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen der IG Metall vor. Dieser Bestand von Vorurteilen wird teils produziert, teils zum Ausdruck gebracht durch einige stereotype, immer wiederkehrende Phrasen, Wortverbindungen, Schlußfolgerungen scheinkritischer Art. Das Ensemble dieser pseudokritischen Wendungen kann man als ,System der konformistischen Sprachregelung’ bezeichnen; es ist eben jenes Vokabular, das entweder bewußt angewandt oder unbewußt (auch bereits in Gewerkschaftskreisen!) übernommen wird, um ein auf soziale Neugestaltung gerichtetes Denken als Unsinn, Unmöglichkeit, Spintisiererei abzufertigen.”

Dies ist die von Vilmar mit reichhaltigem Material belegte Diagnose über die Berichterstattung der Presse über die in Berlin von der IG Metall entwickelten gesellschaftspolitischen Vorstellungen.

Auf den gleichen Sachverhalt weist — diesmal an Hand der Untersuchung der Lohnbewegung der IG Metall in den Jahren 1961/1962 — Peter Märthesheimer in seiner Studie „Publizistik und gewerkschaftliche Aktion” (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Band 8) hin.

Märthesheimer kommt zu dem Ergebnis, daß in der Presse nicht etwa von vornherein negativ besetzte Vorstellungen von der IG Metall bestehen. Wenn die Gewerkschaft jedoch ihrer eigentlichen Aufgabe, hier einer konkreten Forderung auf Erhöhung von Löhnen und Gehältern, konsequent nachgeht, so macht sich alsbald eine allgemeine Ablehnung breit, die auf den angeblich von der Lohnerhöhung zu erwartenden negativen Folgen beruht. Es wird behauptet, die Gewerkschaft störe das wirtschaftliche Gleichgewicht; mit diesem identifiziert sich jedoch der größte Teil der Presse.

„Da die IG Metall naturgemäß als die auftritt, die den Status quo verändern will, schlägt sich die Presse notwendig auf die andere Seite; damit aber auch zu denen, die an der Abwehr einer Lohnerhöhung privates, ökonomisches Interesse haben.” (S. 82) Beide Arbeiten zeigen, daß die Öffentlichkeitsarbeit der Gewerkschaften, für die hier stellvertretend die IG Metall betrachtet wird, vor außerordentliche Schwierigkeiten gestellt wird. Weder finden die programmatischen Vorstellungen der Gewerkschaften zur Gesellschaftspolitik, wenn sie nicht besonders „öffentlichkeitswirksam” aufbereitet werden, Verständnis oder gar Zustimmung, noch unterstützen gemeinhin die Träger der öffentlichen Meinung die Gewerkschaften bei der Durchsetzung eines so konkreten und „unideologischen” Zieles wie einer Lohnerhöhung.

Es stellt sich also die Frage, ob gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit überhaupt in der Lage ist, eine angemessene Beurteilung gewerkschaftlicher Aktivität durch die Organe der öffentlichen Meinung zu erreichen oder ob Märthesheimer mit seiner pessimistischen Behauptung recht hat, daß es den Gewerkschaften nur gelingen könne, ihr Bild in der Öffentlichkeit grundsätzlich zu verändern, wenn sie auf die Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder verzichten.

Ziele der gewerkschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit
Fassen wir einmal die wichtigsten Ergebnisse der Meinungsforschung, wie sie uns in den
Untersuchungen der bekannten Institute, z. T. auch als Ergebnis eigener Forschungsaufträge
der Gewerkschaften vorliegen, im Hinblick auf ihre Bedeutung für die gewerkschaftliche
Öffentlichkeitsarbeit zusammen:

a) Die organisierten Arbeitnehmer bilden heute nur eine Minderheit unter der Gesamtbevölkerung wie unter den abhängigen Erwerbstätigen.
b) Die Organisierten unterscheiden sich in ihrem Verhalten und ihrer Einstellung auf weiten Gebieten nicht von den Unorganisierten.
c) Es herrscht eine Konsumorientierung vor, die sich weit mehr für die Verwendung des Arbeitsergebnisses als für die Umstände seiner Entstehung interessiert.
d) Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen wird nicht den Gewerkschaften, sondern der allgemeinen Entwicklung zugeschrieben.
e) Die Gewerkschaften werden zwar weithin bejaht, jedoch aus egoistischen Gründen, wodurch die Möglichkeit positiver Erfahrungen mit ihnen auf Notfälle beschränkt bleibt.
f) Weitgehend sorgen sich die Arbeitnehmer um die Erhaltung der Kaufkraft und haben eine kritische Einstellung zur gewerkschaftlichen Tarifpolitik.
g) In Übereinstimmung mit und möglicherweise als Folge der Propaganda der Regierungsparteien und der Unternehmer ist eine positive Affektbeziehung zu den Schlagworten entstanden, die die kapitalistische Wirtschaftsweise bezeichnen, während gleichzeitig die gemeinwirtschaftlichen Begriffe suspekt geworden sind.
h) Die Massenmedien Presse und Fernsehen sind für die Unterrichtung der Bevölkerung
von ausschlaggebender Bedeutung. Dort herrscht jedoch in der Regel keine
gewerkschaftsfreundliche Einstellung.

Wie ungünstig diese Voraussetzungen und wie spärlich die Ansatzpunkte für eine wirksame gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit sind, kann man in vollem Umfang nur ermessen, wenn man den Feststellungen des Ist-Zustandes der öffentlichen Meinung über die Gewerkschaften den jeweiligen Soll-Zustand gegenüberstellt:

a) Statt einer Minderheit sollte die Mehrheit der Arbeitnehmer in den Gewerkschaften organisiert sein.
b) Diese Mehrheit der Organisierten sollte sich in ihrem Verhalten und ihren Vorstellungen infolge der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit deutlich von der Minderheit der Unorganisierten abheben.
c) Das Interesse der Arbeitnehmer sollte stärker auf die Strukturprobleme unserer Gesellschaft und die Grundsatzfragen der Gesellschaftspolitik als auf die Konsumsphäre gerichtet sein.
d) Die entscheidende Bedeutung der Gewerkschaften für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sollte allgemein anerkannt sein.
e) Die Gewerkschaften sollten aus dieser Erkenntnis heraus nicht nur wegen ihres unmittelbaren Nutzeffektes für den einzelnen, sondern wegen ihrer Funktion als demokratische Gegenmacht von der Bevölkerung verstanden und bejaht werden.
f) Der Mythos von der Lohn-Preis-Spirale dürfte im Bewußtsein der Arbeitnehmer keinen Platz haben. Es müßte eine klare Einsicht in die Zusammenhänge der Marktwirtschaft herrschen.
g) Die auf Gemeinwirtschaft und demokratische Kontrolle der Wirtschaft gerichteten Grundsatzforderungen der Gewerkschaften müßten bei der Masse der Arbeitnehmer
stärkeren Widerhall finden als die sozialliberalen Propagandaparolen.
h) Berichterstattung, Nachrichtengebung und Kommentierung der Massenmedien über
Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Themen müßten viel sachlicher sein. Entsprechend
der funktionalen Bedeutung dieser Themen für das gesamte gesellschaftliche Leben
müßte ihnen in den Massenmedien ein viel breiterer Raum zur Verfügung stehen.

Die Kluft zwischen der Realität der öffentlichen Meinung und dem Ziel der gewerkschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit bezeichnet die Größe der Aufgabe. Vor dieser Aufgabe könnte man leicht verzagen.

Denn in der Tat ist der Druck, dem die öffentliche Meinung in Richtung auf das Bejahen der bestehenden Verhältnisse und eine Ablehnung jeglicher progressiven Veränderung ausgesetzt ist, so stark, daß sich die gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit vor schier unüberwindliche Schwierigkeite gestellt sieht.

Konformismus und Gegenmeinung
Fast möchte man sich wundern, daß überhaupt noch Restbestände gewerkschaftlichen Bewußtseins bestehen, daß bei Minderheiten noch zutreffende Vorstellungen über die Grundtatbestände von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik überlebt haben und daß nicht ausnahmslos die von den Massenmedien gepflegten Klischees übernommen werden. Es gibt offensichtlich — und das ist der entscheidende Ansatzpunkt gewerkschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit — bei Teilen der Bevölkerung tief verwurzelte Widerstände gegen den Druck zur Konformität.

Dies gilt nicht nur für die Propaganda gegen Gewerkschaften und Opposition in der
Bundesrepublik. Es gibt dafür auch berühmte Beispiele aus anderen Bereichen und
Ländern.

So wurde etwa Harry Truman im Jahre 1948 gegen die massiven Beeinflussungsversuche aller amerikanischen Massenmedien zum Präsidenten gewählt. Oder betrachten wir, um bei unserem Thema zu bleiben, den Aufstieg der Gewerkschaften in den USA, die in 25 Jahren trotz heftigster Gegenpropaganda von Presse und Rundfunk von drei Millionen Mitgliedern im Jahre 1933 zu der beachtlichen Stärke von 15 Millionen im Jahre 1958 wuchsen.

Diese Tatsachen stimmen offenbar nicht mit dem Bild einer von den Massenmedien völlig kontrollierten öffentlichen Meinung überein, sondern beweisen im Gegenteil die Realität von Gegenströmungen und autonomen Entwicklungen der öffentlichen Meinung, welche sich der Manipulation entziehen und auf das Durchschlagen und Aussprechen primärer interessen der Bevölkerung zurückzuführen sind. Daß gerade die Gewerkschaften berufen sind, diese vorrangigen, lebenswichtigen Interessen der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen und ihre kollektive Vertretung zu organisieren, gibt ihnen die einzigartige Chance, bei der Bildung von Gegenkräften der öffentlichen Meinung mitzuwirken, die sich den Einflüssen der großen Massenmedien zum Kampf um das allgemeine Bewußtsein stellen können.

Ursprung dieser Gegenkräfte ist stets der Widerspruch zwischen den offiziell verkündeten
Wahrheiten der Massenmedien und den realen Lebenserfahrungen von mehr
oder weniger großen Teilen der Bevölkerung, die zunächst in kleineren Gruppen und
persönlichen Diskussionen aktiviert und dann in größeren gesellschaftlichen Organisationen
zusammengefaßt werden. An diesen Gegenkräften bricht sich der überwältigende Einfluß der Massenmedien.

Der Aufbau und Ausbau von Gegenmeinungen findet in kleinen Gruppen statt, und die Untersuchung der sich dort abspielenden Prozesse führte zur Entdeckung der Meinungsführer, die für die Meinungsbildung in der Gruppe maßgebend sind und die andere mehr beeinflussen als sie von anderen beeinflußt werden. Diese Meinungsführer setzen sich allerdings selbst dem Einfluß der Massenmedien wieder stärker aus. Sie lesen mehr, hören mehr Radio, sehen mehr fern. Sie nehmen die Meinungen der Massenmedien
auf und geben sie an die Gruppen weiter.

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der gewerkschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit, die eigenen Mitglieder so zu unterrichten und auszurichten, daß sie ihrerseits als Glieder zahlloser formeller und informeller Gruppen höchst wirksame Träger von Gegenmeinungen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung sein können.

Die direkte Einwirkung auf die öffentliche Meinung:
Die gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit im engeren Sinn

Aber die Gewerkschaften können sich heute selbstverständlich nicht darauf beschränken, ihre Ansichten und Absichten zum Zwecke der Unterrichtung und Ausrichtung mittels der Gewerkschaftspresse und der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit unter ihren eigenen Mitgliedern zu verbreiten. Sie sind vielmehr gezwungen, ihre Stimme auch im Konzert der öffentlichen Meinung zu Gehör zu bringen. Dieser Zwang ergibt sich aus der Tatsache, daß die Gewerkschaftsmitglieder nur eine Minderheit der Arbeitnehmer darstellen und die Mehrheit also von der Gewerkschaftspresse und der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit nicht oder nur auf dem Umweg über die Meinungsführer erreicht wird.

Die Gewerkschaften können gar nicht umhin, ihre Ansichten und Absichten über den Kreis der Mitglieder hinaus auch in der breiten Öffentlichkeit darzulegen, weil es der Kampf der Meinungen, die Konkurrenz um die Bewußtseinsbildung, die Herausforderung durch den Strom anderer Interessenteninformationen und der berechtigte Anspruch der Öffentlichkeit einfach so verlangen.

Aus all diesen Gründen wird von den Gewerkschaften, denen dieses Problem bewußt ist und die dazu in der Lage sind, eine mehr oder minder intensive Einwirkung auf die öffentliche Meinung praktiziert. Das bedeutet konkret: Die Gewerkschaften benutzen die vorhandenen technischen Mittel und Kommunikationswege, um die Massenmedien mit Informationen zu beliefern. Diese Informationen finden dann, je nach Bedeutung anderer vorliegender Nachrichten, nach ihrer eigenen Bedeutung und der Einstellung der Journalisten dazu, Eingang in das Nachrichtenmaterial, die Berichterstattung und Kommentierung der Massenmedien.

Auf diese Weise gelangen sie an das große Publikum, an die vielen Millionen von Fernsehteilnehmern, Nachrichtenhörern und Zeitungslesern. Nur durch diese Öffentlichkeitsarbeit können die Gewerkschaften wirklich mit der Masse der Bevölkerung in Verbindung treten und auch in der öffentlichen Meinung Wirkungen erzielen, die über die Einflußmöglichkeit im Mitgliederkreis weit hinausgehen. Oder, um es mit den Begriffen der Meinungsführer-Theorie auszudrücken: Die Chance der Gewerkschaften, ihre Ansichten einer maximalen Zahl von Meinungsführern zu vermitteln, wird durch die Benutzung der Massenmedien gewaltig gesteigert. Diese Einsicht hat gerade in den letzten Jahren in steigendem Umfang bei den Gewerkschaften Platz gegriffen.

Die Häufigkeit, mit der die gewerkschaftlichen Nachrichtendienste erscheinen, hängt natürlich von der Menge des in den einzelnen Organisationen anfallenden Stoffes ab.

Deshalb sind die Pressedienste des DGB-Bundesvorstandes und der IG Metall die zahlund materialreichsten; dementspechend ist auch ihr Erfolg in der Publizität.

Am häufigsten kommen im Pressedienst der IG Metall folgende Themen vor:

Tarifpolitik,
Wirtschaft,
Organisationsfragen,
Betriebsratswahlen,
Sozialpolitik,
Internationale Nachrichten.

In steigendem Umfang werden vom DGB und den einzelnen Gewerkschaften Journalisten zu den Gewerkschaftskongressen eingeladen. Der Sinn für den Wettstreit um das größte und beste Presseecho ist auch unter den Gewerkschaften erwacht und führt zu einer erheblich breiteren Berichterstattung über Verlauf und Ergebnis der Gewerkschafts-kongresse als es früher üblich war.

Auch gewerkschaftliche Pressekonferenzen kommen immer mehr in Mode und führen allmählich zwischen den Vertretern der Massenmedien und den führenden Gewerkschaftern zu einem ähnlich selbstverständlichen Verhältnis wie zwischen der Presse und den führenden Politikern. Die Scheu vor dem Mikrofon, der Fernsehkamera und dem Notizblock der Journalisten müssen auf seiten der Funktionäre ebenso überwunden werden wie bei den Pressevertretern die Klischeevorstellung, daß Gewerkschafter Ballonmützen tragen und Gewerkschaftsthemen des allgemeinen Interesses entbehren.

Möglichkeiten und Grenzen gewerkschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit
Die Übersicht über die gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit zeigt, daß die Gewerkschaften heute ihre Ansichten und Absichten mit Hilfe der Massenmedien über den Kreis der eigenen Mitglieder hinaus in die breite Masse der Bevölkerung tragen und tragen müssen.

Die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine umfassende gewerkschaftspolitische Aufgabe, in der die Öffentlichkeitsarbeit nur eine dienende Funktion hat.

Diese Funktion ist jedoch bedeutsam, weil von ihr der Aufbau von Gegenmeinungen, die Aufklärung über die wahren Ziele der Gewerkschaften und die Ausarbeitung und Verankerung politischer, ökonomischer und sozialer Alternativvorstellungen zum bestehenden System ausgehen kann.

Es zeigt sich allerdings gerade unter den heutigen Bedingungen der gewerkschaftlichen
Aktion, daß jede Öffentlichkeitsarbeit, wenn sie die Gewerkschaften nicht in die Isolierung sektiererischer Gruppen hineinführen will, auf die Struktur der öffentlichen Meinung und auf die Mechanismen der Massenmedien Rücksicht nehmen muß. Daraus ergibt sich, daß die gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit auf die gleichen Techniken und Praktiken zurückgreifen muß, deren sich die kommerzielle Public-Relations-Arbeit bedient. Bis in die Sprache und die Art der Ansprache des einzelnen hinein hat dies seine Konsequenzen. Die Grenze zwischen der Manipulation der Konsumwerbung und der Aufklärung und Bewußtseinsbildung, um die es der gewerkschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit geht, droht dabei zu verschwimmen. Das Dilemma tut sich auf, daß die Gewerkschaften, jedenfalls im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit, um so erfolgreicher, das heißt allgemein
akzeptiert werden, je mehr sie sich dem bestehenden sozialökonomischen Wertsystem anpassen, während sie andererseits dadurch in die Gefahr geraten, sich von ihrem eigentlichen gesellschaftspolitischen Auftrag zu entfernen. Angesichts dieser Alternative, angesichts der Wahl zwischen den beiden Extremen einer völligen Vernachlässigung von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung um der Reinheit der Ziele willen oder der völligen Unterwerfung unter die öffentliche Meinung um der größtmöglichen Popularität willen, bemühen sich die Gewerkschaften offensichtlich, einen Mittelweg einzuschlagen:

Sie verändern ihre Ziele und ihre Praxis so weit, daß sie nicht von vornherein die entschiedene
Ablehnung der (gewerkschaftsunfreundlichen) Öffentlichen Meinung hervorrufen.

Jedoch besitzt ihre Politik immer noch genügend Klarheit und Anziehungskraft für die Arbeitnehmer, um diese prinzipielle Berechtigung und Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Arbeit anerkennen und auch für sich selbst bejahen zu lassen. Auf der Basis dieser Anhängerschaft trachtet die Gewerkschaft nun, durch eine großangelegte Öffentlichkeitsarbeit Sympathie und Unterstützung bei jenen Teilen der Bevölkerung zu gewinnen, die ihnen bisher indifferent gegenüberstanden. Sogar bei den negativ Eingestellten vermag eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit Boden zu gewinnen, indem sie falsche Fronten zerstört, Vorurteile auflockert, sich zur Diskussion mit dem Gegner stellt.

Der Preis, den die Gewerkschaften für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit unter den heutigen Verhältnissen zahlen müssen, ist eine gewisse Zweideutigkeit, wie sie sich besonders am neuen DGB-Grundsatzprogramm zeigen läßt.Zwar sind alle entscheidenden Forderungen für eine gesellschaftliche Neuordnung dort noch enthalten, sie stellen aber keine verbindlichen Anweisungen zum Handeln, sondern nur Fernziele dar, die, falls es die jeweiligen Machtverhältnisse so gebieten, auch vertagt werden können. Die Tagesarbeit der Gewerkschaften jedenfalls orientiert sich nicht am Grundsatzprogramm, sondern am Aktionsprogramm, dessen Zielsetzungen zwar von den Arbeitgebern propagandistisch als übertrieben bekämpft, aber nicht grundsätzlich abgelehnt werden.

Eine solche Politik auf zwei Ebenen mag doppelzüngig erscheinen, in Wirklichkeit ist sie jedoch zwangsläufig für einen Verband, der die Verfassung der Bundesrepublik bejaht, jedoch in partieller Opposition zur bestehenden Ordnung sich befindet und der dem revolutionären Umsturz seit langem abgeschworen hat. Die typische Praxis der Gewerkschaften ist der Kompromiß mit dem Gegner, nicht dessen Vernichtung.

Gilt der Kompromißcharakter aber schon allgemein bei der gewerkschaftlichen Aktion, so steht die Öffentlichkeitsarbeit, die nicht unmittelbares Handeln und Ringen, direktes Zupacken ist, sondern Strategie und Taktik im Reich der Worte, noch viel mehr im Zeichen des Kompromisses.

Als Vorbereitung und Begleitmusik zu einem gewerkschaftlichen Angriff wird sie einerseits vorsichtig um Verständnis und Unterstützung für die gewerkschaftlichen Forderungen werben, im Kampf selbst auf die Mobilisierung von Leidenschaften nicht verzichten, nach seinem Ende den Erfolg anpreisen und wieder ein verträgliches Verhältnis zum Gegner herstellen, das vom Kampf in Mitleidenschaft gezogene Publikum besänftigen und der pessimistischen Arbeitgeberpropaganda über die schädlichen Folgen des
Kompromisses entgegenwirken.

Sie muß auf die Erhaltung der Anziehungskraft der Gewerkschaften auf die Arbeitnehmer bedacht sein, also den Nutzen der Organisation durch die ständige Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen überzeugend darstellen, andererseits jedoch gegen das Klischee von den krakeelenden, Unruhe stiftenden, ewig unzufriedenen, auf den Nachweis ihrer Existenzberechtigung bedachten Gewerkschaften angehen.

Sie muß die Schattenseiten der kapitalistischen Wirtschaftsweise anprangern, ohne jedoch die gewerkschaftlichen Erfolge gerade in dieser Ordnung zu verkleinern, denn sie sind immer noch das beste Werbeargument für die Gewerkschaften.

Sie muß eine große Zukunftsperspektive zeigen können, wie sie gerade die aktiven, anspruchsvollen und nachdenklichen Elemente unter den Arbeitnehmern von ihrer Gewerkschaft erwarten, und der Masse doch auch beweisen, daß sie nicht in den Wolken schwebt und nur Versprechungen für die Zukunft macht.

Sie muß den Widerstand gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Willkür organisieren und diese ihre Funktion als demokratische Gegenmacht im Bewußtsein der Bevölkerung verankern, ohne doch in den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit und des Extremismus zu geraten.

Gewerkschaftliche Öffentlichkeitsarbeit kann eben nur ein Kind der Gewerkschaften selbst sein. Alle Widersprüche, mit denen die Gewerkschaften zu kämpfen haben, haften ihr selbst an, sie muß überdies die Last tragen, diese Widersprüche noch der Öffentlichkeit begreiflich zu machen, um am Ende nicht nur mitleidiges Verständnis für die schwierige Rolle der Gewerkschaften, sondern aktive Mithilfe bei der Verwirklichung kontroverser Ziele zu bewirken.

Das ist gewiß keine leichte Aufgabe. Wer sich ihr unterzieht, hat einen schweren Stand sowohl gegenüber der öffentlichen Meinung, die die gewerkschaftliche Botschaft lieber nicht hören möchte, als auch gegenüber den Kollegen von der Presse, deren „gut” entwickeltem Standesbewußtsein der gewerkschaftliche Pressemann allemal als Journalist minderen Ranges erscheint, schließlich aber auch gegenüber anderen Gewerkschafts-funktionären,die die Notwendigkeit, ihre Politik gegenüber der Öffentlichkeit auch dann noch rechtfertigen zu müssen, wenn sie die Mitglieder voll und ganz hinter sich
wissen, als lästige Zumutung empfinden.